Alle wollen Wirtschaftswissenschaft studieren. Fächer rund um die Betriebswirtschaftslehre sind seit Jahren die Nummer eins der Studienfachwahl. Auch Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftsinformatik oder Wirtschaftsingenieurswesen finden sich unter den beliebtesten Studienfächern. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts waren es noch Soziologen wie Ulrich Beck („Risikogesellschaft“), Gerhard Schulze („Erlebnisgesellschaft“) oder Peter Gross („Multioptionsgesellschaft“), die einflussreiche Gesellschaftsanalysen vorlegten. Doch im 21. Jahrhundert hat sich die Soziologie längst als gesellschaftliche Leitwissenschaft verabschiedet – Fachvertreter beklagen, dass sie sich vor allem mit sich selbst beschäftigt und die großen gesellschaftlichen Debatten anderen überlässt. Zu den kruden gesellschaftstheoretischen Thesen des studierten Ökonomen Thilo Sarrazin etwa äußert sich kaum ein Soziologe. Die Leitwissenschaft der vergangenen Jahrzehnte ist ohne Frage die Ökonomie geworden. Was insofern paradox ist, als die wirtschaftswissenschaftlichen Theorien selbst kaum dabei helfen, die großen wirtschaftlichen Herausforderungen zu meistern, geschweige denn vorherzusehen und abzuwenden. Bankenkrise, Eurokrise, Griechenlandkrise, Staatsschuldenkrise – die Wirtschaftswissenschaft hat darauf bisher nicht eine Antwort – sondern immer mindestens zwei Antworten: noch mehr Sparen – oder genau das Gegenteil, also mehr staatliche Investitionsprogramme.
(veröffentlicht am: 28.07.2016)