Als ich Ende der 70er Jahre studierte, beschäftigten sich die engagierten Studenten – egal ob Jusos, K-Gruppen-Anhänger oder Spontis – in selbst organisierten Arbeits- und Lesekreisen mit der Auflösung von gesellschaftlichen Widersprüchen. Der Dialektische Materialismus sah im Hauptwiderspruch von Lohnarbeit und Kapital die Ursache aller sozialen Übel; also studierten wir eifrig „Das Kapital“ von Karl Marx, um Ansatzpunkte für die Errichtung einer widerspruchsfreien, herrschaftslosen Gesellschaftsordnung zu finden. Heute ist alles anders. Das Aushalten von Widersprüchen, ja teilweise geradezu das lustvolle Inszenieren von Widersprüchen ist zur Signatur der Postmoderne geworden. Klaus Ernst, der Parteichef der Linkspartei, fährt Porsche – und schämt sich nicht. Auch Studenten haben sich heute mit dem Widerspruch arrangiert. Ein schönes Beispiel ist das Verhältnis zum CHE, dem Centrum für Hochschulentwicklung. Auf der einen Seite ist dieser Thinktank als Tochtergesellschaft der Bertelsmann- Stiftung für viele Studierende so etwas wie der Inbegriff des Bösen. Das CHE steht für die Befürwortung von Studiengebühren, für die Ökonomisierung der Bildung, für Neoliberalismus und so weiter. Auf der anderen Seite folgen Studienanfänger in fast blindem Gehorsam dem Hochschulranking, das von eben diesem CHE jährlich erstellt wird. Zwar ist das CHERanking, das in Kooperation mit der „Zeit“ veröffentlicht wird, ohne Frage das methodisch aufwendigste und damit beste Evaluationsinstrument der deutschen Hochschullandschaft, aber es lässt natürlich keinerlei Prognosen darüber zu, ob man als Student an einer vermeintlichen Spitzen-Uni auf engagierte Dozenten und spannende Mitstudenten trifft. Ob der Sachbearbeiter im Prüfungsamt kleinkariert oder großzügig ist. Ob die Semestereröffnungsparty hip ist oder ein Reinfall. Schließlich dürften neben objektiven Parametern wie Betreuungsrelationen, Bibliotheksausstattung und Mietpreisen viele sehr persönliche und subjektive Variablen eine Rolle spielen, die auch das beste Ranking niemals berücksichtigen kann. Die eine Studentin fühlt sich beim „Brotgelehrten“ und seinen klar strukturierten, aber trockenen Lehrveranstaltungen wohl. Der nächste Student lässt sich eher vom leicht chaotischen, zu spontanen Exkursen neigenden „philosophischen Kopf“ zu einem erfolgreichen Studienabschluss inspirieren. „The proof of the pudding is in the eating“ , lautet ein englisches Sprichwort. Auf Deutsch: probieren geht über studieren. Das wusste übrigens auch schon Friedrich Engels.