Eigentlich hätte man es wissen können. Als vor eineinhalb Jahren die Studie „Lernen sichtbar machen“ des neuseeländischen Erziehungswissenschaftlers John Hattie in deutscher Übersetzung erschien, machte sie schnell Furore. Hattie gilt manchem inzwischen als Papst der Bildungsforschung, seine mittlerweile berühmte Untersuchung als eine Art Heiliger Gral der Pädagogik. Hattie hatte Werte aus über 800 internationalen Metastudien (also Studien, in denen die Ergebnisse aus vielen anderen Studien gebündelt werden) über guten Unterricht, insgesamt also Tausende von Einzelstudienergebnissen auf wenige griffige Botschaften reduziert. Zum Beispiel die, dass es weniger auf äußere Strukturen, weniger auf die finanzielle Ausstattung oder die Klassengröße ankomme. Sondern vielmehr auf den einzelnen Lehrer und seine Lehr- und Motivationskompetenz. Nun hat sich der Hamburger Altmeister der Lehr-Lernforschung, Professor Schulmeister, den gigantischen Datensalat angesehen, den Hattie auftischt. Ergebnis: Vor dem Verzehr wird gewarnt. Ein Beispiel: Augenscheinlich hat Hattie nicht alle Meta-Analysen, die er zitiert, wirklich gelesen, denn beispielsweise findet sich im Effektkomplex „Konzentration, Ausdauer und Engagement“ eine Studie, deren Thema die Konzentration industrieller Macht ist, nicht aber die Konzentration beim Lernen.
Jenseits der grundsätzlichen Bedenken gegen simplifizierende Rankings und gegen den Vergleich von Äpfeln mit Birnen rückt damit die Fehleranfälligkeit wissenschaftlicher Gigantomanie ins Blickfeld. Hatte sich nicht auch unser vormaliger Düsseldorfer Rektor auf dem Höhepunkt der Plagiatsaffäre Schavan gerühmt, als Herausgeber einer Fachzeitschrift rund 20 000 Artikel begutachtet und die Plagiate herausgefischt zu haben? Vielleicht bringen derartige Größenfantasien das, woran unser Wissenschaftssystem krankt, am besten auf den Punkt. Jedenfalls wäre es für einen normalen Sterblichen schon eine Top-Leistung, auch nur ein Prozent dieses Pensums gelesen und einigermaßen verstanden zu haben.