Wir leben in eigenartigen Zeiten. Als vor zehn Jahren der Siegeszug der Mobilfunk-Kommunikation erste Blüten zeitigte, schrieben sensible Beobachter etwas von virtueller Nabelschnur.

Am besten gefiel mir die Überschrift einer ethnographischen Studie aus Österreich zur flächendeckenden Nutzung des Handys: „Präsenz ohne Anwesenheit“. Daran musste ich kürzlich denken, als die abenteuerlichen Rechtsauslegungen eines Prof. Goebel aus dem Wissenschaftsministerium an den Universitäten in NRW für Ratlosigkeit sorgten. Er macht nachdrücklich darauf aufmerksam, dass die Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen einen massiven Grundrechtseingriff darstelle und deshalb nur dann zulässig sei, wenn das Lernziel nicht „durch mildere Mittel“ genauso gut erreichbar sei und wenn die Prüfungsordnung dafür eine hiebund stichfeste Grundlage liefere. Es gehe jedenfalls nicht an, dass Hochschuldozenten durch eine Anwesenheitspflicht ohne nähere Begründung die in Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes verbriefte allgemeine Handlungsfreiheit einschränkten. Auch die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12, GG sieht Goebel in Gefahr. Schon jetzt ist es nicht mehr statthaft, in Vorlesungen Anwesenheitskontrollen durchzuführen; entsprechend dünnen sich die Auditorien aus. Zwar ist es sicher richtig, dass Anwesenheit keinerlei Garantie für irgendeinen Lernerfolg beinhaltet – aber Fernbleiben im Zweifelsfall genauso wenig. Wenn Lehrveranstaltungen auf diese Weise zum entbehrlichen Vorlauf für schriftliche Klausuren (gegen die Prof. Goebel keine Einwände erhebt) herabgestuft werden, bleibt die mindestens für Sozial- und Geisteswissenschaften so wichtige lebendige Auseinandersetzung im Lehrgespräch auf der Strecke. Vielleicht liegt der Rechtsbelehrung des Wissenschaftsministeriums aber auch einfach eine neue alte Überlegung zur Untertunnelung der aktuellen Studentenberge zugrunde: Einschreiben dürfen sich alle – hinzugehen braucht eh keiner.